Kriegssplitter by Herfried Münkler

Kriegssplitter by Herfried Münkler

Autor:Herfried Münkler [Münkler, Herfried]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783644121119
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2015-09-25T16:00:00+00:00


9. Was ist eigentlich neu an den Neuen Kriegen?

Es hat geraume Zeit gedauert, bis eine in Routinen erstarrte Friedens- und Konfliktforschung auf die Theorie der Neuen Kriege reagiert hat und die Theoretiker der Internationalen Beziehungen bemerkt haben, dass die von ihnen so emphatisch vertretene Theorie des demokratischen Friedens die kriegerischen Herausforderungen am Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht zu erfassen vermag. Umso heftiger waren dafür zeitweise die Attacken gegen die Theorie der Neuen Kriege. Es sind vor allem vier Einwände, die geltend gemacht werden: Erstens wird eingewandt, vieles von dem, was hier als neu etikettiert werde, sei so neu gar nicht, sondern könne immer schon als ein Begleiter des Kriegsgeschehens beobachtet werden. Weiterhin sei der Gegenbegriff der alten Kriege eurozentrisch gedacht und lasse die außereuropäische Kriegführung der europäischen Kolonialmächte außer Acht. Drittens wird eingewandt, Begriff und Konzept der Neuen Kriege widmeten der fortbestehenden nuklearen Bedrohung zu wenig Aufmerksamkeit und überschätzten die weltpolitische Bedeutung von Partisanenkrieg und Terrorismus. Und schließlich wird die Befürchtung geäußert, der Begriff der Neuen Kriege befördere die Anthropologisierung des Kriegskonzepts, bei der man hinter die Vorstellung einer politischen Lenkung des Krieges zurückfalle und nur noch Einzelaspekte des Krieges in den Blick nehme.[256]

An diesen Einwänden ist im Detail sicherlich manches richtig und unbestreitbar. Freilich treffen sie selten das Konzept der Neuen Kriege, sondern immer nur einzelne Autoren und andere gar nicht. Die Kritiker haben sich keine große Mühe gemacht, die einzelnen Vertreter der Theorie der Neuen Kriege auch nur ansatzweise zu sortieren und ihre Argumente auseinanderzuhalten. So hat der britische Kriegshistoriker John Keegan etwa den Begriff der Neuen Kriege nicht verwandt, geschweige denn einen Beitrag zu dem damit verbundenen theoretischen Konzept geleistet;[257] dennoch wird er immer wieder als ein Vertreter dieser Theorie herangezogen beziehungsweise diese wird in Auseinandersetzung mit seinen Arbeiten kritisiert. Dagegen hat Martin van Creveld schon vor längerem von einer «transformation of war» gesprochen und eine Ablösung des großen Staatenkrieges durch «low intensity wars» prognostiziert.[258] Van Creveld hat das mit der These verknüpft, Clausewitz habe als Theoretiker des Krieges ausgedient und sei zu verabschieden. Diese Aversion gegen Clausewitz verbindet ihn mit John Keegan, der in der Tradition seines Lehrers Basil Henry Liddell Hart nie größere Sympathie für den preußischen Kriegstheoretiker aufzubringen vermochte.[259] Aber während van Creveld die Obsoleszenz der Clausewitz’schen Theorie aus dem von ihm beschriebenen Wandel des Kriegsgeschehens herleitet, hat nach Keegans Auffassung die Clausewitz’sche Theorie nicht einmal zur Erklärung des früheren Kriegsgeschehens getaugt. Sie war, so Keegan, schon immer falsch. Beide Formen der Clausewitz-Kritik sind sauber voneinander zu trennen, weil sie auf grundlegend verschiedenen Prämissen beruhen; das gelingt den Kritikern der Theorie der Neuen Kriege jedoch nur selten. Der Grund dafür ist einfach: Sie selbst sind mit der Clausewitz’schen Theorie nur in Umrissen vertraut. Dieses Manko hat Folgen, die sehr viel weiter reichen als nur bis zur Verwechslung unterschiedlicher Einwände gegen Clausewitz und sein Werk Vom Kriege.[260]

Als Erste hat die Konfliktforscherin Mary Kaldor zwischen alten und neuen Kriegen unterschieden,[261] wobei sie diese Unterscheidung vor allem vor dem Hintergrund der jugoslawischen Zerfallskriege entwickelt hat.



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